Nürnberg und die Industriekultur

Ihr planiert die Seele der Stadt
“Ihr planiert die Seele der Stadt” – Parole an der Stelle, wo einst der Milchhof stand.

So langsam kann es selbst der größte Ignorant nicht mehr wegleugnen. Industriekultur und die dazugehörende Architektur der Industrialisierung hat in Nürnberg und Umgebung einen schweren Stand, um es mal höflich zu formulieren.

Nürnberg ist eine Stadt mit einem gut erhaltenen (Alt-)Stadtbild. Als Franke und Nürnberger identifiziert man sich mit dem historischen Erbe und teilweise wird dieser Hang zur Historie auch gelebt. Die Altstadtfreunde kümmern sich z.B. herzallerliebst um den Wiederaufbau und den Erhalt des historischen Stadtkerns der Nürnberger Altstadt und verteidigen ihn auch vehement gegen Modernisierungen wie z.B. den Umbau des Augustinerhofs durch Helmut Jahn.

Wenn es aber um die Bauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geht, dann wird eine völlig gegensätzliche Haltung eingenommen: Während man auf die Jahrhunderte davor und insbesondere auf das Mittelalter ungemein stolz ist, scheint die Industrialisierung mit ihren gesellschaftlichen und städtebaulichen Umformungen nie stattgefunden zu haben. Jedenfalls wird die industrielle Epoche im Bewusstsein der Traditionalisten und Stadtplaner (die Schnittmenge dieser Gruppen ist vermutlich enorm) ausgeblendet.

Wie sonst kann man erklären, dass denkmalgeschütze Industriebauten wie z.B. der Milchhof oder das Areal der Tucher Brauerei einfach platt gemacht wurden. Derzeit kämpft das Parkhotel in Fürth bzw. dessen Festsaal um den Erhalt, das Straßenbahndepot in Muggenhof steht vor dem Abriss, der Deutsche Hof ist praktisch weg, mit dem Volksbad mag keiner so richtig was machen und ginge es nach der Landesregierung, wäre das ganze Quelle-Gelände schon längst Flachland.

Alles was in Nürnberg (und der Denkmalstadt (sic!) Fürth) auch nur ansatzweise mit dem Mittelalter zu tun hat, wird liebevoll gepflegt und restauriert. Bauten der Industrialisierung finden dagegen kaum Interesse und Unterstützung, als Zeugnisse des Werdens der Gegenwart bewahrt zu werden. Habe ich früher mal gedacht, Nürnberg und Fürth wären z.B. auf die einstige gemeinsame Eisenbahn und die Nachbarschaft generell unheimlich stolz, so verhält es sich genau umgekehrt: Die Nachbarstädte zeigen der jeweils anderen ihre hässlichste Seite und das industriell geprägte Gebiet an der Stadtgrenze ist eine No-Go-Area.

Nürnberg ist im Mittelalter stehen geblieben

In Nürnberg existiert nur die Geschichte des Mittelalters. Was von der Epoche der Industrialisierung übriggeblieben ist, stört den Sinn für Schönheit. Irgendwelche Gründerzeitbauten haben schlechte Karten und insgeheim wünscht sich der wahre Lokalpatriot, all die verlotterten Industriebauten endlich loszuwerden, damit die Glanzwerke der früheren Zeiten, sowie austauschbare Bürogebäude und Pseudolofts der Gegenwart, umso heller erstrahlen können.

Offenbar weiß niemand, worin der Wert frühindustrieller Anlagen denn bestehen könnte, außer uns an schlechtere Zeiten, Arbeit, rauchende Schornsteine und am Ende Arbeitslosigkeit zu erinnern. Wohingegen ja das Mittelalter, zumindest in Nürnberg, eine einzige Party war, ohne Leid und Elend, und mit Dürer als gefeierter Superstar. Auch hat Industrialisierung was mit Arbeitnehmerbewegungen und Sozialdemokratie zu tun, also auch etwas, worauf eine tendenziell konservative Regierung mitunter allergisch reagiert.

Franken spielt z.B. bei der Europäischen Route der Industriekultur eine untergeordnete Rolle, was nicht daran liegt, dass es keine Industrie gegeben hätte. In Nürnberg gibt es ja ein Museum Industriekultur welches mehr als deutlich macht, was hier alles passiert ist: die Wurzeln der Industrialisierung reichen bis tief ins Mittelalter. Auch ist das DB Museum ist bei der Route mit dabei, aber das Wort „Industriekultur“ ist für Fränkische Ohren eine Provokation. Vereint es doch völlig Gegensätzliches und Widersprüchliches für den Traditionalisten: Kultur hat nichts mit Industrie zu tun. Das kulturelle und architektonische Erbe Nürnbergs reduziert sich somit auf die klischeehafte Hochglanzdarstellung des vermeindlichen Rufes einer mittelalterlichen Perle für Touristen und mit Glasfassaden für Investoren. Die Epoche der Industrialisierung und ihre architektonischen Spuren werden ausgeblendet und verscharrt.

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