Zeitgemäß Wohnen in Nürnberg

Wer hätte das gedacht. Da zieht jemand (ich) vor 12 Jahren nach Nürnberg und startet nach einer nur wenigen Jahre dauernden Eingewöhnungsphase ein Blog (dieses) über die Stadt, ihre mangelnde Urbanität und ihre Hässlich- und Spießigkeit. Irgendwann zwischendurch trug man mir zu, dass es sieben bis elf Jahre dauert, bis man Nürnberg schön findet und es mag. Ich kann das mittlerweile bestätigen. Nürnberg hat sich in der Zeit etwas gewandelt und ist vielleicht wirklich etwas lebendiger und offener geworden (Stichwort: Berlinifizierung), vielleicht haben wir uns auch etwas angeglichen.

Nun habe ich immer versucht, möglichst urban und zeitgemäß zu wohnen. In Nürnberg war es in der Vergangenheit nie wirklich einfach, gute Wohnungen in passenden Wohnlagen zu finden. Man hat in den Nullerjahren sehr deutlich gemerkt, dass in den Jahrzehnten davor nicht nennenswert in Wohnraum investiert wurde. Ich habe nach meinen Wohnungen meist sehr lange suchen müssen und war sehr oft über das Angebot enttäuscht. Meine letzte Wohnung habe ich damals erst nach Monaten intensiver und kenntnisreicher Suche gefunden. Auch sie war nicht perfekt, aber ein sehr guter Kompromiss aus Lage, Ausstattung und Preis. Und jetzt habe ich sie aufgegeben, mit einem weinenden und einem lachenden Auge.

Mehr als eine Zweck-WG…

Denn: vor mittlerweile drei (!) Jahren haben wir in einer kleinen Gruppe beschlossen, ein Wohnprojekt zu realisieren. Sowas wie eine WG, aber nicht im eigentlichen Sinn. Also nicht á la sieben Studenten auf 85 qm im Hinterhaus. Eher in der Form eines Mehrgenerationenhauses. Eine langfristig angelegte Art des Wohnens und des freiwilligen Zusammenlebens mehrerer unabhängiger Personen in einer sehr großen Wohnung oder eben einem Haus. Es gibt auch in Nürnberg viele WGs und auch einige sehr alte und sehr große WGs und so glaubten wir, dass es kein Problem sein sollte, solch eine Idee umzusetzen. Es dauerte trotzdem drei Jahre und es scheiterte in der Zeit meistens an unpassenden oder zu kleinem Wohnraum. Wir wollten ja wenigstens einigermaßen zentrumsnah wohnen und die sechs Mitbewohner, die bisher in eigenen Wohnungen lebten, auch passend unterbringen und nicht einsperren. Mit diesen Wünschen stießen wir in Nürnberg sehr schnell an Grenzen.

… und schwer zu realisieren

Neubauwohnungen mit einer für uns interessanten Wohnfläche von mindestens 300 Quadratmetern werden so geplant, dass maximal eine kleine Familie oder vielleicht nur DINKs („Double Income no Kids“) drin wohnen können. Wir suchten Wohnraum für sechs Personen. Also braucht es neben einer entsprechenden Anzahl an Zimmern auch einen kleinen Haufen an Sanitärräumen. Eigenständiges Zusammenleben benötigt ausreichend Rückzugsorte genauso wie große Gemeinschaftsflächen und etliche Klos um Staus zur Rushhour zu vermeiden. Neubauten kamen selten bis gar nicht in Frage. Der Wohnungsmarkt denkt nicht an größer angelegte Wohnprojekte, was man auch an den Altbauten merkt. Wenn wirklich mal eine riesige Altbauwohnung frei wird, dann auch nur, weil sich eine WG auflöst. Diese Wohnungen kommen dann aber nicht wieder auf den Markt, sondern werden in kleinere Wohnungen aufgeteilt und separat vermietet. Ist lukrativer, aber etwas kurzsichtig. Menschheitsgeschichtlich gesehen ist es die Ausnahme, in sehr kleinen Gruppen oder alleine zu wohnen. Gefühlt nimmt der Wunsch in größeren Gemeinschaften zu leben seit einiger Zeit zu. Quasi als Gegentrend zur entmenschlichten Digitalisierung die die Leute zwar ideell vernetzt aber physisch entkoppelt zurück lässt. In der Arbeitswelt etablierten sich Coworkingspaces genau aus dem Grund. Man möchte nicht den ganzen Tag alleine in einem kleinen Zimmer vorm Computer sitzen.

„Wir sind hier nicht Berlin“

Aber es gab sie trotzdem alle paar Monate mal, die architektonisch passenden Wohnungen. Allerdings blieb der Hürde der Anmietung. Kaufen wollten und konnten wir Wohnraum für unser Projekt (vorerst?) nicht. Selbst wenn die Hälfte der Bewohner in der Lage gewesen wäre, eine Wohnung finanziell zu stemmen, waren Makler und Vermieter regelmäßig sehr skeptisch unserer Idee gegenüber. Man hätte lieber irgendwie was, womit man sich identifizieren konnte, also ein solventes Akademikerpärchen oder ähnliches. Sowas erscheint Hauseigentümern irgendwie solider als sechs separate und unabhängige Einkommen von einer Gruppe, die nach freier Liebe und Sonnentänzen im Garten riecht. Das Argument, dass wir in Nürnberg nicht in Berlin sind, kommt nicht von mir, sondern wurde uns das ein oder andere Mal entgegen gebracht und hat sich intern als kleine Metapher etabliert. In der Hauptstadt haben es alternative Wohnprojekte wohl wirklich einfacher. Aufgegeben haben wir dennoch nicht. Die meisten Teilnehmer des Wohnprojektes entstammen der Weinerei in Nürnberg, also auch so ein Projekt, das aus Berlin kommt und in Nürnberg bestens funktioniert. Warum sollte es also bei großem gemeinschaftlichen und individuellen wohnen anders sein?

Vorort sei Dank

Schlussendlich hat es in diesen Wochen dann doch geklappt. Im gutbürgerlichen und sehr unaufgeregtem Laufamholz stand schon seit einigen Jahren ein riesiges Haus aus den frühen 70ern leer und wartete auf Wiederbelebung. Keine wirkliche Schönheit und vielleicht auch deshalb hatte es sich all die Zeit vor uns versteckt. Über 400 qm, viele Zimmer, riesige Gemeinschaftsflächen, Klos, Garten und einige sehr nette Extras. Man hatte nie versucht, speziell nach Wohngemeinschaften zu suchen, erfuhren wir später. Die Idee wurde durch den Makler erst spät dem Eigentümer nahegebracht, der sich dann überzeugen ließ. Die einzigen Interessenten waren wir wahrlich nicht, aber die, die den Zuschlag bekommen haben.

Laufamholz

Two worlds collide where the smart, sophisticated part of town runs into down-at-the-heel suburbia

Und die Ironie an der ganzen Geschichte ist, dass ich immer versucht habe, urban und zeitgemäß zu wohnen. Und jetzt: Laufamholz! Ich habe seit meiner Kindheit noch nie eine Wohnung so weit weg vom Stadtzentrum gehabt. Noch nie war ich physisch so weit weg von Szene, Stadtkultur und Zeitgeschehen. Und ich habe die Existenz von Leben außerhalb dieser Kreise kritisiert und ignoriert. Dieses Blog ist voll damit. Das Leben in einem Mehrgenerationenhaus erstreckt sich für mich nun nicht nur über diese Form des Zusammenlebens, sondern auch über ein neues Leben in Suburbia. Und ehrlich gesagt freue ich mich drauf. Nachdem Nürnberg in der City eh mittlerweile ein bisschen zu dem geworden ist, wie ich es vor 12 Jahren gerne gehabt hätte, kümmere ich mich ab jetzt nun etwas um das Vorstadtleben. Streetart hab ich bereits entdeckt. Und vielleicht ist Laufamholz ja das neue Charlottenburg und kommt irgendwie. Oder auch nie.

Ob ich fortlaufend über dieses Wohnprojekt berichten werde, weiß ich noch nicht. Würde vielleicht zu arg ins Private gehen. Würde mich aber freuen, wenn die Idee Früchte trägt und die Berlinifizierung auch auf den fränkischen Wohnungsmarkt überschlägt. Lustigerweise hatte ich in der Zwischenzeit von einem Fernsehsender mal eine Anfrage bekommen, ob ich nicht derartige Wohnprojekte kennen würde. Man suchte was für eine länger angelegte Dokumentation. Ich hab niemanden vermittelt und auch nichts von unserem Wohnprojekt erzählt. Ich kenne niemanden, der sich gerne beim Wohnen filmen lassen mag. Außerdem hab ich ein Blog, was soll ich im Fernsehen?


Wenn ihr Fragen zu so einem Wohnprojekt habt, dann ab damit in die Kommentare.

0 0 votes
Article Rating
6 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments