Nürnberg – Stadtbild im Wandel

Es ist eine Collage der ältesten bekannten detailscharfen Nürnberger Stadtansicht von Hieronymus Braun von 1608 und einem neuen Luftbild.
Es ist eine Collage der ältesten bekannten detailscharfen Nürnberger Stadtansicht von Hieronymus Braun von 1608 und einem neuen Luftbild.

Als Zugezogener beäugt man seine Umgebung immer etwas aufmerksamer. Möglicherweise auch kritischer, als so mancher Ureinwohner. Ich weiß wovon ich da spreche, du als Leser dieses Blogs vermutlich auch, Boris Leuthold geht es da ähnlich. Ihn hat es vor 12 Jahren auch beruflich nach Nürnberg gespült. Auch Boris stellt Fotos ins Internet, allerdings auf einer Facebook-Fanpage. Und auch nicht alleine. Zusammen mit Sebastian Gulden und Stefan Schwach (aka Etienne Faible mit seinen Fotografien aus den vergangenen Tagen Nürnbergs) betreibt er die Seite »Nürnberg – Stadtbild im Wandel«. Man beschäftigt sich mit dem lokalen Baugeschehen und mit dem Gefühl, dass von allem Denkbaren in der Architektur und in der Stadtentwicklung bemerkenswert oft die unbefriedingste Variante verwirklicht wird.

Neben den Fotos ist diese Sicht auf die Stadt ein Grund, Boris und Sebastian ein paar Fragen zu stellen.

Warum sammelst oder machst du Fotos?

Boris: Das Interesse an Architektur in der Stadt ist groß, aber das Echo verhallt schnell oder wird nicht gehört. Insbesondere außerhalb der Altstadt wird zu wenig Mitsprache ermöglicht, und Nürnberg ist doch nun wirklich mehr als nur die Altstadt. Ein gutes Mittel dagegen ist das Fotografieren und Posten im Internet. So lassen sich Entwicklungen gut nachzeichnen und dokumentieren. Wenn man dann noch historische Fotos in die Finger bekommt, die nicht die bekannten Postkartenmotive in der Altstadt zeigen, dann führt schnell eins zum anderen. Man will schließlich zeigen, was man entdeckt hat.

Sebastian: Ich fotografiere, seitdem ich ein Kind bin. Alte Gebäude haben mich schon immer fasziniert. Mit der Zeit hat sich mein Interesse vom Mittelalter über das 19. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit ausgeweitet. Meine Leidenschaft habe ich zum Beruf gemacht. Ansichtskarten und Fotos von Stadtbildern und Gebäuden sammle ich seit drei Jahren. Mich interessiert, wie unsere Stadt früher aussah und möchte die Geschichte von Straßen und Gebäuden nachvollziehen können. Diese Erkenntnisse nutze ich für meine Forschung.

Seit wann geht das Spielchen und welche Motive spielen eine Rolle?

Boris: Begonnen hat alles auf der Suche nach einer neuen Wohnung. Dabei hat mich besonders gestört, das viele gar nicht wissen, was eigentlich ein gepflegter Altbau ist, was man unter Jugendstil versteht oder das hohe Decken erst ab 3 Meter wirklich so genannt werden können. Das dokumentierte Baugeschehen der Rhetorik der Immobilienmakler zu überlassen wollte ich jedenfalls nicht mehr. Damit begann das rege Fotografieren und Posten. Als ich etwa vor einem Jahr von einem Bekannten einen Stapel historischer Aufnahmen mit teils unbekannten Standorten bekommen habe, packte mich der Sportsgeist und es musste herausgefunden werden, wo die jeweiligen Standorte sind. Meist gelingt das auch. Die Orte sind absolut ungewöhnliche Fotomotive, da sie niemand fotografieren würde. Aber sie sind nahezu jedem Nürnberger bekannt, irgendwer hat immer dort oder gegenüber gewohnt.

Sebastian: Die Idee, historische und aktuelle Ansichten einander gegenüber zustellen, hatten wir Ende 2014. Im März 2015 haben Boris, Stefan und ich begonnen, die ersten Motive auf Facebook zu präsentieren. Unser Interesse gilt Einzelbauten, Straßenzügen oder Parkanlagen, manchmal auch Details von Gebäuden. Der Schwerpunkt liegt auf der Gegend außerhalb der Stadtmauer, die – was Forschung und Fotobände anbelangt – sonst immer im Schatten der Altstadt steht. Bei der Auswahl genießen seltene und ungewöhnliche Motive den Vorzug vor dem sattsam Bekannten. Wir zeigen lieber das Vorher-nachher-Bild eines Handwerkerhauses in Steinbühl als die hundertste Ansicht des Dürerhauses.

Hast du genaue Vorstellungen von den Motiven oder passiert es einfach?

Boris: Es ist immer etwas Schicksal, welche Motive man in die Finger bekommt. Aus Überraschungen, wenn z.B. ein Bild falsch verortet wurde und man das berichtigen kann, werden meist die spannendsten Motive. Aber das Foto, das ich am liebsten haben möchte, konnte ich noch nirgends finden.

Sebastian: Meist geben die historischen Ansichten, die wir finden, die Motive vor. Manchmal kommt es vor, dass ich durch die Stadt gehe, ein interessantes Gebäude oder einen Straßenzug entdecke und dann wissen will, wie das früher aussah. Manchmal habe ich Glück und kann eine historische Ansicht auftreiben.

Einige der Fotos zeigen ein Bild von Nürnberg, wie wir es heute nicht mehr kennen oder uns vorstellen können. Warum zeigst du uns die Bilder?

Boris: Weil es die Leute interessiert wie es früher war, was heute dort ist, und weil Nürnberg mehr ist als nur die Altstadt. Würde nicht jeder gerne mal eine kleine Zeitreise machen? Wir versuchen das und nehmen unsere Leser mit.

Sebastian: Unser Ziel ist es, das Thema „Stadtbild“ in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Die Motive und Veränderungen sollen zeigen: Das Stadtbild ist stets im Wandel. Es ist spannend, den Wandel zu verfolgen. Wenn man eine lebenswerte Stadt haben möchte, ist es nötig, aufmerksam durch sie zu gehen und sich auch mal zu engagieren, wenn sich Dinge zum Negativen wandeln. Zu viele Menschen gehen mit Scheuklappen durch die Welt. Im Urlaub in Italien sind sie hellwach und genießen das Flair von Rom oder Florenz. Daheim in Nürnberg dagegen nimmt sie der Alltag so ein, dass sie Veränderungen erst bemerken, wenn sie umgesetzt sind. Ein gut informierter und bewusster Einwohner wird eher aufbegehren, wenn ein geliebtes Straßenbild ruiniert zu werden droht (Stichwort „Fassadendämmung“). Oder er wird mehr Interesse zeigen, wenn in seinem Umfeld spannende Neubauten entstehen.
Bei unseren Bildern spielt Nostalgie natürlich eine Rolle, aber wir wünschen uns, dass die Betrachter auch das Neue oder Neuere zu schätzen lernen, z. B. die Baukunst der Nachkriegszeit, die leider immer noch äußerst stiefmütterlich behandelt wird.

Wo soll es mit der Seite hingehen? Hast du Pläne?

Boris: Nicht direkt Pläne, ich denke die Frage kommt, wenn einem irgendwann die historischen Motive ausgehen, aber das wird dauern.

Sebastian: Eine eigene Webseite wäre schön. Es ist erstrebenswert, von Plattformen wie Facebook so weit wie möglich unabhängig zu sein.

Eine Auswahl an Fotos Nürnberg damals und heute

Nürnberg Kaiserstallung
Sebastian: Das ist eine der ersten alten Ansichten, die ich erworben habe. Es zeigt zwar ein sattsam bekanntes Motiv, aber mich hat ohnehin vor allem der Hintergrund interessiert: Dort sieht man das Maxfeld, wie es vor fast eineinhalb Jahrhunderten aussah: grün, mit niedrigen Häusern, Höfen und ersten kleinen Fabriken. Die Karte ist schon sehr alt, vielleicht die älteste meiner Sammlung von 1867 oder früher und wurde von dem Nürnberger Fotographen Christian König vom Sinwellturm aus geschossen. Vor ein paar Monaten bin ich Herrn König auf den Turm gefolgt und hab das ganze im aktuellen Zustand festgehalten, der immer noch begeistert und – im Hintergrund – die Geschichte eines großen Wandels erzählt – nämlich die, wie Land zu Stadt wird.
Nürnberg Bucher Str. 74
Sebastian: Diese Bildfolge hat eine persönliche Bedeutung für mich. Es zeigt das Haus, in dem ich wohne. Es ist ein besonderes Haus mit einer reichen Geschichte. Innen wie außen ist es fast noch so wie 1906, als es vollendet wurde. Es ist eine Insel der alten Zeit, die Eigentümer und Bewohner so lieben und hegen wie sie ist. Das linke Bild ist ein Original-Fotoabzug von 1906, das der erste Hauseigentümer Adolf Fürst geknipst hat. Boris hat dazu 2015 ein aktuelles Bild gestellt.
Nürnberg Hauptpost I
Sebastian: Gleich drei Ansichten aus (fast) derselben Perspektive krieg man selten hin – Boris ist es gelungen. Der Bahnhofsplatz ist eines, wenn nicht DAS städtebauliche Fanal Nürnbergs. Man kann gut erkennen, wie die Silhouette des Bahnhofs und das Vorfeld nach und nach an Charme und Grün verlieren. Jetzt soll auch noch der Kopfbau der Hauptpost weg, der die Zeiten ganz gut überstanden hat. Es ist spannend zu sehen, wie sich zentrale Plätze im Zeitenlauf verändern, wie zivilisatorische Errungenschaften (hier das Auto) unsere Stadt umformen. Vielleicht auch ein Anreiz für die Planer der Zukunft, aus der Vergangenheit zu lernen und etwas weniger Auto und wieder mehr Grün zuzulassen, um den Platz wieder lebens- und liebenswert zu machen?
Nürnberg Postscheckamt
Sebastian: Seitdem ich klein bin, bin ich an diesem Gebäude x-mal vorbeigekommen, wusste aber bis vor kurzem nicht, was es eigentlich ist bzw. ursprünglich war. Dass heute selbst alteingesessene Nürnberger das Postscheckamt als Bauwerk nicht mehr kennen, macht dieses Gebäude für mich zu einem „vergessenen Denkmal“. Einst war es ein Schmuckstück dieser Stadt, im feinsten Expressionismus ausgestattet und mit Reliefs verziert, etwas ganz Besonderes. Heute ist es nur noch ein schmuckloser Kasten, der einfach „so da ist“ und scheinbar keinen Platz mehr hat im kollektiven Gedächtnis Nürnbergs. Doch was wäre Nürnbergs Stadtbild ohne ihn?
Mathildenstr_1912.JPG Äußerst seltenes Baustellenfoto eines fertig gestellten Rohbaus, der zum auswintern ohne Fenster ein paar Monate leer steht. Leider hab ich nicht verifizieren können wo das Bild genau aufgenommen wurde.
Mathildenstr. 1912
Boris: Äußerst seltenes Baustellenfoto eines fertig gestellten Rohbaus, der zum auswintern ohne Fenster ein paar Monate leer steht. Leider hab ich nicht verifizieren können wo das Bild genau aufgenommen wurde.
Dieses Motiv hat etwas heiles. Es zeigt eine Baulücke, die Kinder als Spielplatz nutzen, die in den Häusern rundherum wohnen. Solche nackten Brandwände kenne ich auch aus meiner Kindheit, und sie haben mich stets inspiriert. Aus hunderten einzelner Ziegel wird eine dauerhafte Struktur geschaffen. Die Häuser links und rechts stehen heute noch, der Platz ist freilich längst bebaut.
Boris: Dieses Motiv hat etwas heiles. Es zeigt eine Baulücke, die Kinder als Spielplatz nutzen, die in den Häusern rundherum wohnen. Solche nackten Brandwände kenne ich auch aus meiner Kindheit, und sie haben mich stets inspiriert. Aus hunderten einzelner Ziegel wird eine dauerhafte Struktur geschaffen. Die Häuser links und rechts stehen heute noch, der Platz ist freilich längst bebaut.
Nürnberg Äußere Bayreuther Straße 125 - 1933-2015
Nürnberg Äußere Bayreuther Straße 125 – 1933-2015

Danke Boris und Sebastian für die Bilder und das Interview. Stefan steht dem ganzen Projekt übrigens beratend mit seinem schier unendliches Wissen über Nürnberg und seine Bauten zur Seite.

Ich haber hier übrigens noch Fotos von Nürnberg vor der Rekonstruktion.

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